Essstörungen erkennen – Symptome, Ursachen und Therapiemöglichkeiten

Essstörungen zählen zu den häufigsten psychischen Erkrankungen in Deutschland – die Zahl der Betroffenen steigt weiter und hat sich in den letzten 20 Jahren verdoppelt. Betroffen sind sowohl Männer als auch Frauen jeden Alters, wobei Frauen deutlich häufiger betroffen sind als Männer. Gerade bei Pubertierenden und jungen Frauen sind Essstörungen schon längst keine Seltenheit mehr. Im Schnitt erkranken 6,1 % der Frauen im Laufe ihres Lebens an einer Essstörung.

Autor:in: Lisa Marie Hudezek

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Eine junge Frau mit Untergewicht sitzt in Unterwäsche auf dem Bett. Ihre Wirbel sind am Rücken zu sehen.

Wie entstehen Essstörungen?

Essstörungen beginnen im Kopf – Sie entstehen aufgrund eines Zusammenspiels aus psychischen, neurobiologischen und psychosozialen Faktoren, die sich auf unsere Gedanken und Emotionen sowie unsere Wahrnehmung auswirken.

Dabei sind vor allem die Regulation des Essverhaltens und die Körperwahrnehmung betroffen. Es werden krankhafte Gedanken und Verhaltensweisen in Bezug auf Essen, Körpergewicht und Körperform entwickelt, die im schlimmsten Fall lebensbedrohlich enden können. Hinter der Kontrolle über das Essen steckt oft der Versuch, emotionale Belastungen zu regulieren. Essen – oder dessen Verweigerung – wird zum Ventil für Stress, Angst oder Traurigkeit.

Zudem spielen Kontrolle, Angst, Scham oder das Bedürfnis nach Anerkennung und ein mangelnder Selbstwert eine große Rolle. Daher zählen Essstörungen zu den psychischen Erkrankungen. Durch Aspekte wie Kontrolle bzw. Kontrollverlust, Essgewohnheiten, die den Alltag bestimmen sowie Herausforderungen hinsichtlich Autonomie und Konflikten werden sie auch mit Suchterkrankungen in Verbindung gebracht.

Ursächlich können viele Faktoren eine Entstehung begünstigen.

  • Biologische Einflüsse: Genetische Veranlagung und neurobiologische Veränderungen im Belohnungssystem, hormonelle Veränderungen bspw. im Rahmen der Pubertät.
  • Psychische Faktoren: Perfektionismus, geringes Selbstwertgefühl oder traumatische Erfahrungen wie Missbrauch oder Mobbing. Auch Suchterkrankungen in der Familie (z. B. Alkoholismus) oder Essstörungen bei einem Elternteil können eine Rolle spielen. Ebenso wirken sich familiäre Konflikte, Trennungen, Verluste, häufige Umzüge, gestörte Essgewohnheiten in der Kindheit oder strenge Diäten in der Vergangenheit ungünstig aus.
  • Soziale Einflüsse: Schlankheitsideale, Social Media und gesellschaftlicher Leistungsdruck.
Dünnes Mädchen schaut auf Handy

Wie erkenne ich eine Essstörung?

Die Einordnung eines „gesunden“ bzw. eines „gestörten“ Essverhaltens ist im Rahmen verschiedener Kulturen, Gewohnheiten, Bedürfnissen und anderen Anforderungen sehr schwer.

Letztendlich ist es das Gesamtbild unter Einbeziehung vieler Faktoren, welches den Fachleuten einen Hinweis auf das Vorliegen einer ernsthaften Erkrankung gibt.

Essstörungen entwickeln sich meist schleichend und werden nicht immer sofort erkannt. Ein frühzeitiges Handeln ist jedoch von großer Bedeutung, um einen schweren bzw. chronischen Verlauf zu verhindern.

Typische Warnsignale sind:

  • Verändertes Essverhalten: Mahlzeiten werden ausgelassen, Kalorien penibel gezählt oder exzessive Essanfälle verheimlicht.
  • Starke Gewichtsschwankungen: Sowohl Untergewicht als auch rasche Gewichtszunahme können Anzeichen sein.
  • Sozialer Rückzug: Gemeinsames Essen wird vermieden, Betroffene ziehen sich zunehmend zurück.
  • Körperliche Symptome: Müdigkeit, Konzentrationsprobleme, Zyklusstörungen und Kreislaufbeschwerden sind häufig.
  • Psychische Belastung: Ständige Gedanken um Figur, Gewicht und Nahrungsaufnahme dominieren den Alltag.

Bei Hinweisen auf das Vorliegen von Warnsignalen empfiehlt sich ein Besuch bei einer Beratungsstelle oder dem/der Haus-/Kinderärzt:in.

Die drei Hauptformen von Essstörungen

Fachlich werden vor allem drei Formen von Essstörungen unterschieden.

Magersucht – Anorexia nervosa

Typisch für die Magersucht ist ein eher restriktives Essverhalten, verbunden mit einer massiven Angst, an Gewicht zuzunehmen. Betroffene haben eine stark verzerrte Körperwahrnehmung und finden sich, trotz meist vorliegendem Untergewicht, zu dick und unförmig. Sie schränken die Nahrungszufuhr nicht nur in der Gesamtmenge ein, sondern entwickeln häufig auch Angst vor Zucker und fettreichen Lebensmitteln wie Öl, Süßigkeiten, Fast Food, Gebäck und Ähnlichem.

Der Beginn der Erkrankung liegt meist in der Pubertät, doch auch (junge) Erwachsene und Kinder unter 13 Jahren können betroffen sein.

Bulimie – Bulimia nervosa

Bei dieser Form haben Betroffene ein unkontrollierbares Verlangen nach Essen, bei dem in kürzester Zeit große Nahrungsmengen zugeführt werden. Häufig geschieht dies in emotionalen Situationen, aber auch bei starker Anspannung oder anderen Belastungen.

Anschließend versuchen die Betroffenen die zugeführte Energie wieder „auszugleichen“, um so die Kontrolle wieder zu erlangen und nicht an Gewicht zuzunehmen. Oftmals geschieht dies, indem ein bewusstes Erbrechen herbeigeführt wird, weshalb Bulimie auch als „Ess-Brech-Sucht“ bezeichnet wird.

Teilweise werden solche Essgelage sogar bewusst geplant und dafür eingekauft. So kann es passieren, dass bei einem Einkauf gezielt kohlenhydrat- und fettreiche Lebensmittel wie Süßigkeiten, Gebäck und Fast Food besorgt werden, wobei schnell eine zwei bis dreistellige Summe ausgegeben wird.

Die Thematik ist stark mit Scham besetzt, weshalb Betroffene häufig Situationen nutzen, in denen sie alleine sind. So kann es passieren, dass die Erkrankung lange Zeit unentdeckt bleibt.

Bulimie beginnt meist im späteren Jugendalter oder zu Beginn des Erwachsenenlebens. Am häufigsten sind junge Frauen betroffen.

Binge-Eating-Störung

Binge Eating kommt aus dem Englischen und bedeutet so viel wie „Essgelage“. Hier werden ähnlich wie bei einer Bulimie in kürzester Zeit unverhältnismäßig große Nahrungsmengen zugeführt, jedoch ohne dass es zu „ausgleichenden Maßnahmen“ wie beispielweise Erbrechen kommt. Daher sind Betroffene häufig eher übergewichtig.

Die Binge-Eating-Störung beginnt meist in der späteren Jugend und im jungen Erwachsenenalter. Von der Krankheit sind Frauen und Männer gleichermaßen betroffen.

Mischformen von Essstörungen

Eine klare Abgrenzung der Erkrankungen ist oftmals schwer. Häufig überschneiden sich Merkmale. So kann es auch bei einer Magersucht zu Essanfällen mit anschließendem Erbrechen kommen, die eher typisch für die Bulimie sind. Ebenso zeigen manche Menschen mit Bulimie zeitweise Symptome einer Magersucht: Viele versuchen nach Phasen mit Essattacken durch strikte Hungerkurven ihr Gewicht zu kontrollieren und abzunehmen, was dann erneut zu Essanfällen führt.

Frau isst traurig einen Kuchen.

Übersicht der Merkmale

Essstörungen Merkmale

Kriterien

Magersucht (Anorexia nervosa)

Bulimie (Bulimia nervosa)

Binge-Eating-Störung (BES)

Misch-/Sonderformen (Atypische Essstörungen)

Ernährung

Starke Einschränkung der Nahrungsaufnahme; Vermeidung vieler Lebensmittel

Wiederholte Heißhungeranfälle, anschließend kompensatorisches Verhalten (Erbrechen, Fasten, exzessiver Sport)

Große Nahrungsmengen in kurzer Zeit; keine Kompensationsmaßnahmen

Kriterien der Hauptformen nicht vollständig erfüllt

Gewicht

Starkes Untergewicht (BMI meist < 17,5)

Körpergewicht meist normal

Häufig Übergewicht

Gewichtsveränderungen möglich

Essverhalten

Strenge Kontrolle; Kalorienzählen; Verzicht auf Mahlzeiten

Wiederkehrende Essanfälle mit Kontrollverlust, danach Gegenmaßnahmen

Wiederkehrende Essanfälle mit Kontrollverlust; keine Gegenmaßnahmen

Kombination oder wechselndes Auftreten von restriktivem Essen und Essanfällen

Körperbild / Selbstwahrnehmung

Verzerrte Körperwahrnehm-ung; Überzeugung zu dick zu sein trotz Untergewicht

Stark auf Figur und Gewicht fixiert; Selbstwert abhängig vom Körperbild

Häufig Unzufriedenheit mit Körper, Scham über Essverhalten

Gestörtes Körperbild oder wechselnde Wahrnehmung ohne klare Zuordnung

Emotionale Merkmale

Angst vor Gewichtszunahme; Stolz auf Kontrolle; oft keine Krankheitseinsicht

Schuld- und Schamgefühle nach Essanfällen; starke Selbstkritik

Schuld-, Scham- und Ekelgefühle nach Essanfällen; Essen als Stressbewältigung

Psychische Belastung ähnlich wie bei Hauptformen; gemischte Symptome

Kompensatorisches Verhalten

Häufig exzessiver Sport; Fasten; Erbrechen; Abführmittel

Regelmäßig nach Essanfällen: Erbrechen, Fasten, Sport oder Medikamente

Keine Kompensationsstrategien vorhanden

Teilweise kompen-satorisches Verhalten, aber unregelmäßig

Weitere Merkmale

Ausbleiben der Menstruation; Frieren; Kreislaufprobleme; soziale Isolation

Zahnschäden; Elektrolytstörungen; Schwankungen im Gewicht

Gewichtszunahme; soziale Rückzugstendenzen; depressive Verstimmung

Übergangs- oder Mischformen; psychosoziale Beeinträchtigung vorhanden

Folgen einer Essstörung

Langfristig können Essstörungen neben seelischen und sozialen Folgen auch körperliche Beschwerden mit sich bringen:

  • Nährstoffmängel
  • Müdigkeit und häufiges Frieren
  • Verlangsamter Herzschlag, ggf. Herzrhythmusstörungen, Kreislauf- und Konzentrationsprobleme
  • Abnahme der Knochendichte (Osteoporose)
  • Haarausfall oder trockene und juckende Haut
  • Lanugo-Behaarung (eine feine, flaumartige Behaarung)
  • Verzögerte körperliche Entwicklung, ausbleibende Pubertät oder Periode
  • Bei Erbrechen: Schäden an Zähnen und Speiseröhre, Vergrößerung der Speicheldrüsen, Störungen des Salz- und Wasserhaushalts und eine gestörte Nierenfunktion

Wege aus der Essstörung: Therapie und Selbsthilfe

Eine Essstörung verschwindet selten von allein. Daher ist es wichtig, erste Anzeichen zeitnah zu erkennen und sich frühzeitig Hilfe zu holen.

In der Regel werden Betroffene ärztlich (Überwachung des Gewichtes, der Konstitution und Laborparameter) sowie psychotherapeutisch betreut.

Erst wenn auslösende und aufrechterhaltende Faktoren in der Therapie bearbeitet werden, ist eine Unterstützung durch eine Ernährungstherapie zielführend.

Bei schweren Verläufen mit niedrigem Körpergewicht (BMI unter 15, bzw. unter der 3. Altersperzentile bei Kindern und Jugendlichen) oder anderen bedrohlichen Komplikationen, ist eine Behandlung im stationären Umfeld wie einer Tagesklinik, einem stationären Aufenthalt oder einer Wohngruppe anzustreben.

Raus aus der Essstörung: Ernährungstherapie als Teil des Behandlungskonzepts

Gemeinsam mit einer qualifizierten Ernährungstherapeut:in lernen Betroffene, ein gesundes Essverhalten aufzubauen, Körpersignale besser wahrzunehmen und Schritt für Schritt zu mehr Stabilität im Alltag zu finden.

Quellen:

Statistisches Bundesamt. Pressemitteilung Nr. N041. 2025 [zitiert 31. Oktober 2025]. https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2025/08/PD25_N041_231.html

Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit. Wie häufig sind Essstörungen? 2025 [zitiert 31. Oktober 2025]. https://essstoerungen.bioeg.de/was-sind-essstoerungen/wie-haeufig-sind-essstoerungen/

Dialog – Individuelle Suchthilfe gGmbH. Suchterkrankungen und Essstörungen: „Same but different?“. 2025 [zitiert 31. Oktober 2025]. https://www.dialog-on.at/node/201

Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit. Welche Arten von Essstörungen gibt es? [zitiert 31. Oktober 2025]. https://essstoerungen.bioeg.de/was-sind-essstoerungen/arten/

Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). S3-Leitlinie Essstörungen: Diagnostik und Therapie. 2020 [zitiert 31. Oktober 2025]. https://register.awmf.org/assets/guidelines/051-026l_S3_Essstoerung-Diagnostik-Therapie_2020-03-abgelaufen.pdf

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